Kieferorthopädische Frühbehandlung beim Rückbiss hat keinen Nutzen

International wird mit der kieferorthopädischen Behandlung Heranwachsender in der Regel begonnen, wenn der Zahnwechsel abgeschlossen ist. Die jungen Patienten sind dann 11-13 Jahre alt und werden in einer einzigen Phase, die 1-2 Jahre dauert, kieferorthopädisch behandelt. Deutsche Kieferorthopäden bevorzugen dagegen das Konzept der Frühbehandlung. Die kieferorthopädische Behandlung beginnt dabei bereits im Grundschulalter. Die erste Phase wird meistens mit herausnehmbaren Apparaten bestritten und dauert normalerweise 1-2 Jahre, in einigen Fällen aber auch deutlich länger. Meistens folgt darauf eine zweite Phase mit herausnehmbaren und festsitzenden Apparaten im frühen Jugendalter, die 3-4 Jahre dauert. Natürlich dauert eine derartige Zwei-Phasen-Behandlung länger und kostet mehr Geld, aber deutsche Kieferorthopäden behaupten, dass die Ergebnisse besser wären. Insbesondere wird gerne angeführt, mit der umständlichen Zwei-Phasenbehandlung würde das Kieferwachstum in günstiger Weise beeinflusst.

In einer Nachuntersuchung von Patienten aus drei kieferorthopädischen Praxen haben die Autoren dieser Studie die Ergebnisse von einphasiger und zweiphasiger Behandlung verglichen. Untersucht wurde dabei eine Gruppe von 120 Patienten mit Unterkiefer-Rückbisses mit großem Winkel der Unterkiefergrundebene. Das ist eine Form des Rückbisses, die als schwer zu behandeln gilt und bei der Kieferorthopäden sich besonders wünschen würden, das Kieferwachstum zu beeinflussen. Dabei wurde festgestellt, dass die Ergebnisse in nahezu allen Messwerten des Fernröntgenseitenbildes gleich waren. Die einzigen Vorteile der Frühbehandlung, nämlich etwas günstigere Winkel der Unterkiefergrundebene (1° Unterschied) und des ANB-Werts (0,4° Unterschied), waren zwar statistisch interessant, sind aber für die Patienten überhaupt nicht wahrnehmbar. Wie es so treffend heißt: statistisch signifikant, aber klinisch bedeutungslos. Die Hoffnung, mit der aufwändigen Frühbehandlung den Gesichtsschädel wesentlich zu beeinflussen, ist also einmal mehr enttäuscht worden. Die Frühbehandlung erbrachte keinen Nutzen, bedeutete aber eineinhalb Jahre längere Behandlungsdauer mit allen Kosten und Belastungen für die Kinder und ihre Eltern.

In unserer kieferorthopädischen Praxis in Mannheim liegt die durchschnittliche Behandlungsdauer für umfassende kieferorthopädische Behandlungen unter eineinhalb Jahren. Vor diesem Hintergrund erscheint der Extraaufwand von eineinhalb Jahren allein für die Frühbehandlung bei bescheidenen Resultaten als ziemlich absurd. Nicht umsonst hat schon 2001 der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen darauf hingewiesen, dass dies an unserem Honorarsystem liegen muss, das den Kieferorthopäden lange Behandlungen mit herausnehmbaren Apparaten besonders hoch vergütet.

Wir als Kieferorthopäden, die nach Effizienz streben, planen Frühbehandlungen nur in ganz wenigen, begründeten Ausnahmefällen. In der Regel bevorzugen wir einphasige Behandlungen. Damit sichern wir unseren Patienten kurze Behandlungszeiten, hohe Ergebnisqualität und einen echten Gegenwert für die Behandlungskosten!

Cha JY, Kennedy DB, Turley PK, Joondeph DR, Baik HS, Hwang CJ, Sinclair PM. Outcomes of early versus late treatment of severe Class II high-angle patients. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2019;156, S. 375-382

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